Postspinaler Kopfschmerz

Postspinaler Kopfschmerz

Sonntag, 10:48, die Wöchnerinnenstation ruft an.
“Frau Müller, die vorgestern eine PDA zur Geburt bekam, hat, seitdem der PDK raus ist, so furchtbare Kopfschmerzen, du musst jetzt mal schauen kommen!“.

„Oh nein, postspinaler Kopfschmerz!“ war mein erster Gedanke. Das Schlimme: Den PDK hatte ich selbst gelegt! Klar, man weiß ja, was postspinaler Kopfschmerz ist. Aber Moment: Was muss ich jetzt nochmal genau machen? Wie äußert sich das? Und wie therapiere ich das Ganze?

Anmerkung: Dieser Artikel behandelt primär den postpunktionellen Kopfschmerz bei Spinalanästhesie und PDA, auch wenn das Vorgehen bei Lumbalpunktion dem unten beschriebenen entspricht.

Definition & Diagnose

Die International Headache Society definiert den postpunktionellen Kopfschmerz wie folgt:

Kopfschmerz, der innerhalb von 5 Tagen nach einer Lumbalpunktion auftritt, verursacht durch ein Liquorleck infolge der duralen Punktion. In der Regel tritt dieser in Begleitung von Nackensteifigkeit und/oder subjektiven Hörsymptomen auf. Er verschwindet spontan innerhalb von 2 Wochen oder nach Verschluss des Liquorlecks durch Setzen eines lumbalen autologen epiduralen Blutpflasters.​1​

Zwar führen wir in der Anästhesie nur sehr selten Lumbalpunktionen durch, aber der Mechanismus bleibt bei der akzidentellen, oder nicht akzidentellen Duraperforation nunmal der gleiche.
Es kommt zu einem Unterdrucksyndrom durch den Liquorverlust mit Zug an Hirnhäuten, -nerven und -gefäßen und zudem auch zu einer Zunahme des intrakraniellen Blutvolumens (Kelly und Monroe lassen Grüßen!).​2​
Achtung: Auch eine meningeale Reizung durch z.B. Infektion kann eine Symptomatik wie unten beschrieben verursachen und muss unbedingt ausgeschlossen werden!


Zudem kriegen wir auch gleich noch diagnostische Kriterien an die Hand, zuerst für liquorunterdruckbedingte Kopfschmerzen​1​:

  • A: Ein beliebiger Kopfschmerz, der das Kriterium C erfüllt
  • B: Einer oder beide der folgenden Punkte sind erfüllt: Liquorunterdruck (<60 mm H2O) oder Nachweis eines Liquorunterdrucks durch bildgebende Verfahren
  • C: Der Kopfschmerz hat sich in zeitlichem Zusammenhang mit dem Liquorunterdruck oder Liquorleck entwickelt oder führte zu seiner Entdeckung
  • D: Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-3-Diagnose.

Zusätzlich für postpunktionell​1​:

  • Kopfschmerz, der die o.g. Kriterien zurückzuführen auf einen Liquorunterdruck und das Kriterium C unten erfüllt
  • Zustand nach duraler Punktion
  • Der Kopfschmerz hat sich innerhalb von 5 Tagen nach der duralen Punktion entwickelt
  • Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-3-Diagnose.

Uff. Alles sehr trocken. Da wir bei einer frisch Entbundenen nun eher unwahrscheinlich primär eine Bildgebung machen, oder den Liquordruck bestimmen wollen, forschen wir ein bisschen weiter. Die Diagnose wird in der Regel klinisch gestellt.


Typische Symptome des postpunktionellen Kopfschmerzes​1​:

  • Auftreten oder Verschlimmerung der Symptome 15 Minuten nach dem Aufrichten, Besserung 15 Minuten nach dem Hinlegen
  • Nackensteifigkeit
  • subjektive Hörstörungen (Tinnitus)
  • Übelkeit

Die Auftretenshäufigkeit hängt von verschiedenen Faktoren ab​3–6​

  • Kanülenstärke
  • Form der Kanülenspitze
  • bei traumatischen Nadeln die Orientierung des Kanülenschliffs
  • das Wiedereinführen des Mandrins nach Liquorentnahme (-verlust)

Zudem gibt es prädisponierende Faktoren​1,7​

  • Alter 18-30 Jahre
  • weibliches Geschlecht (doppelt so häufig wie männliches)
  • niedriger BMI (vermutlich wegen des erhöhten Drucks bei Adipositas)
  • bereits bestehender chronischer oder rezidivierender Kopfschmerz
  • vorhergehendes postpunktionelles Syndrom

Die Häufigkeit nach regionalanästhesiologischen Verfahren in der Geburtshilfe wird bei der Spinalanästhesie mit 1,5-11,2% angegeben​8​, wohingegen sie bei Duraperforation während der Anlage einer PDA mit 80% angegeben wird​9​.

Spannend: Die Menge des ”verlorenen” Liquors scheint keinen Einfluss auf die Entstehung des Kopfschmerzes zu haben​7​.

Differentialdiagnostisch muss immer an einen typischen Spannungskopfschmerz und Migräne gedacht werden. Kopfschmerzen betreffen 30-40% aller postpartalen Frauen​10,11​! Der Spannungskopfschmerz hat eine Lebenszeitprävalenz von bis zu 80%​12​, kann postpartal jedoch sogar eine Besserung erfahren​13​. Während sich die Migräne bekannterweise häufig mit Prodromi ankündigt und sich mit Sehstörungen, Übelkeit und Erbrechen, Licht-, Lärm und Geruchsempfindlichkeit äußert​14​ imponiert der Spannungskopfschmerz in der Regel bilateral, drückend und ziehend, nicht pulsierend und bei körperlicher Aktivität nicht verstärkt​15​.

Therapie

Nun wieder zu unserem Dienst. Die Frau hat leider alle Symptome des pospunktionellen Kopfschmerzes. Ohje, das schlechte Gewissen plagt uns. Und jetzt? Bettruhe und Literweise Flüssigkeit, oder etwa doch nicht?

Zuerst vorweg: Es gibt keinen Hinweis, dass eine prophylaktische Bettruhe nach vermuteter oder absichtlicher Duraperforation das Auftreten des postpinalen Kopfschmerzes verhindert​3​. Auch für literweises Trinken, oder gar Infusionen gibt es keine Evidenz​16​ – schon seit Ewigkeiten – und trotzdem hält sich dieses Gerücht hartnäckig.

Beachtlich ist die Spontanheilungsrate: Nach 4 Tagen kommt es in circa 53%, nach 7 bereits zu 72% und nach 6 Wochen in bis zu 85% zum Sistieren der Symptome​17​. Das ist natürlich kein Grund die Symptome vorher nicht zu behandeln!

Zur Therapie eignet sich die Lagerung dann jedoch sehr gut. Häufig macht die entsprechende Flach- bzw. Kopftieflagerung eine Gabe von Analgetika, Antiemetika und Sedativa überflüssig. Tritt die Symptomatik erst 30 Minuten nach Mobilisation auf, sollen Patienten den Großteil des Tages mobilisiert werden, darunter mehrfach täglich. Lediglich bei Auftretens innerhalb von Sekunden der Mobilisation, sodass eine ganztägige Flachlagerung notwendig ist, sollen die Patienten sich mehrfach täglich aufsetzen und eine Thromboseprophylaxe erhalten.​18​

Medikamentös sind abgesehen von einer Basistherapie nach WHO-Schema Koffein, Theophyllin, oder bei Versagen beider Substanzen Gabapentin oder Hydrocortison medikamentöse Therapiemöglichkeiten​19​. Folgendes sind die in der Leitlinie empfohlenen Dosierungen​18​:

Koffein 3-4 * 200-300mg p.o.
Theophyllin 3 * 280-350mg p.o.
Gabapentin 1-4 * 300mg p.o.
Hydrocortison 1-3 * 10mg p.o.

www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030-113l_S1_Diagnostik-Therapie-postpunktioneller-spontaner-Liquorunterdruck-Syndroms_2018-12.pdf

Bei Nichtansprechen auf eine Dosis von 1g Koffein am Tag empfiehlt die Leitlinie die Anlage eines epiduralen Blutpatches. Allerdings zeigen aktuelle Fallberichte, dass die Gabe von Lidocain per MAD eine schnelle und persistierende Wirkung auf die Symptome haben kann​20​. Anekdotisch sind mir sowohl Fälle in denen der Blutpatch verhindert werden konnte, als auch solche bekannt, in denen er trotzdem im Nachhinein durchgeführt wurde.

Bleibt noch die kausale Therapie: Die wohl häufigere Option stellt der epidurale Blutpatch dar. Hierbei wird der Patientin steril 20ml Eigenblut entnommen und an die entsprechende Stelle epidural injiziert – analog zur PDA. Dadurch sistiert die Symptomatik in 80-96% in kürzester Zeit​21​. Beim Versagen dieser Technik kommen operative Verfahren, beispielsweise mit Fibrinkleber in Betracht, wobei hierzu nur Fallbeschreibungen existieren.

Fazit

Der postpunktionelle Kopfschmerz ist – leider – gar nicht mal so selten. Wird man angerufen, dann wurden die Patientinnen in der Regel schon mit einer Basisanalgesie antherapiert. Eine strikte Bettruhe ist nicht zwingend nötig und sollte an die Ausprägung der Symptome angepasst werden. Die übermäßige Gabe von Volumen ist nicht indiziert. Medikamentös ist insbesondere Koffein, aber auch Theophyllin das Mittel der Wahl. Versagen die Medikamente und die Vernebelung von Lidocain per MAD ist der epidurale Blutpatch meist die rettende Lösung. Dieser sollte aufgrund der erneuten Perforationsgefahr unbedingt in Ruhe und durch erfahrenes Personal durchgeführt werden.

Aus meiner eigenen Erfahrung ist abgesehen von o.g. Maßnahmen die intensive Betreuung und Anbindung der Patientin an die Anästhesie wichtig. Die Patientin soll regelmäßig visitiert werden. Es ist – auch trotz vorheriger Aufklärung – wichtig die Umstände in Ruhe zu erklären und gleich zu vermitteln, dass man eine Lösung für das Problem finden wird.

[PDF Zusammenfassung folgt]


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